Titel
C.A.L.M.A. Compendium Auctorum Latinorum Medii Aevii (500-1500), Bd. 1 (Abaelardus Petrus - Agobardus Lugdunensis archiep.- Elenchus Adbreviationum).


Herausgeber
Società Internazionale per lo Studio del Medioevo Latino (S.I.S.M.E.L.)
Erschienen
Anzahl Seiten
XLI + 86 S. + 47 S. Abkürzungsverzeichnis
Preis
Lit 250000
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Feuchter, Lehrstuhl Mittelalterliche Geschichte II, HU Berlin

Ein neues "Recherche-tool" für die an Nachschlagewerken ohnehin nicht eben arme Mediaevistik ist zu vermelden. Es kommt aus der Werkstatt des "Medioevo latino", der umfassendsten laufenden Bibliographie zum Mittelalter, jährlich ausgeliefert von der Società Internazionale per lo Studio del Medioevo Latino (S.I.S.M.E.L.) in Florenz. Wie das "MEL" ist das neue Hilfsmittel an den Bedürfnissen der Wissenschaft von der mittellateinischen Literatur orientiert. Es verfolgt zwei erklärte Ziele: 1) Die Erstellung einer alphabetischen Liste sämtlicher Autoren, die vom Jahr 500 bis 1500 lateinisch schrieben. - 2) Die Darbietung einer ersten und knappen bibliographischen Übersicht zu diesen Verfassern und ihren Werken.

Vorgelegt wurde nun das erste Faszikel des bereits 1989 in die Wege geleiteten Projektes, das von einer englischen und einer italienischen Redaktion betreut wird (Gesamtleitung: Michael Lapidge, Cambridge). Es enthält 211 Autorenlemmata, eine beeindruckende Zahl! Man vergleiche: Das zugegebenermassen eher handliche Tusculum-Lexikon, 3. Aufl., bietet bis zum Stichautor Agobard von Lyon ganze 50 Verfasser auf, von denen noch die griechischen und antiken Autoren abzurechnen sind. Zieht man das beste vergleichbare Hilfsmittel der Historiker heran, das ebenfalls in Italien bearbeitete Repertorium Fontium Medii Aevii, so findet man nur rund 100 Einträge vor Agobard und muss davon natürlich die vielen nicht-lateinischen Autoren sowie die anonymen Texte subtrahieren.

Weniger beeindruckend ist der Umfang, den man diesen 211 Autoren gewidmet hat: 86 Seiten, wobei das erste, Abaelard zugeeignete Lemma mit fünf Seiten erwartungsgemäss den breitesten Raum erhält, während sich die übrigen Autoren die restlichen 81 Seiten teilen. Daraus ergibt sich bereits, wie knapp der durchschnittliche Lemma-Eintrag ausfällt. Und in der Tat verfinstert sich der hoffnungsvolle Blick in das C.A.L.M.A. bald vor Enttäuschung: Die bibliographischen Angaben fallen nicht nur summarisch, sondern geradezu kümmerlich aus. Genannt ist in der Regel nur die beste Edition (für nicht edierte Texte die besten Handschriften), bei der Sekundärliteratur soll statt der angekündigten "streng begrenzten Auswahl an Angaben" oft ein Verweis auf Spezialbibliographien genügen. Daß letztere auch bei bekannteren Autoren wie etwa Aelred von Rievaulx nicht in durchschnittlichen historischen oder sonst mediaevistisch einschlägigen Bibliotheken greifbar sind, hat jeder erfahren, der sich einmal mit solcher Literatur beschäftigt hat. Mehr als karg sind auch die biographischen Angaben zu den Autoren: Sie beschränken sich auf die Lebensdaten. Völlig fehlen Angaben zu Übersetzungen.

Anonyme Texte, im Mittelalter bekanntlich sehr verbreitet, wurden der Konzeption entsprechend nicht aufgenommen. Es ist sehr zu bedauern, daß damit hinter den Ausgangspunkt des gesamten Projektes, die Lemmata-Liste der Abteilung "Autori e testi" des MEL, zurückgegangen wurde. Nicht mit der Konzeption zu entschuldigen ist das weitgehende Fehlen von Verweislemmata mit alternativen Namensformen der Autoren.

Mit dem ersten Faszikel geliefert wurde ein Abkürzungsverzeichnis, das mit seinen 40 Seiten Umfang beredtes Zeugnis von der Verdichtung der Informationen im C.A.L.M.A. ablegt. Dennoch sucht man dort vergeblich nach der Auflösung des Kürzels "RAS" für eine Quellenedition, die "De sanctimoniali de Watton", den Skandalbericht über eine englische Nonne aus der Feder Aelreds von Rievaulx, enthalten soll. Vermutlich liegt eine Verschreibung von "Historiae Anglicanae Scriptores" vor, in denen der Text tatsächlich gedruckt war, doch auch "HAS" findet sich nicht unter den Adbreviationes verzeichnet.

Fazit:

Die Einleitung zum C.A.L.M.A. gebraucht die Metapher vom "gewaltigen und scheinbar grenzenlosen Meer" (S. XXV) für die Fülle der lateinischen Literatur des Mittelalters. Um bei diesem Bild zu bleiben: Wegen des Fehlens von Übersetzungsangaben und Verweislemmata sowie des meist nur indirekt gegebenen Zugriffs auf die Sekundärliteratur ist das C.A.L.M.A. als Navigationshilfe nur für jene geeignet, die bereits das Kapitänspatent für diese hohe See besitzen und sie zudem in einer reich ausgestatteten Kommandobrücke (sprich: Bibliothek) sitzend durchpflügen. Diesem Kreis wird nun die faszinierende Möglichkeit geboten, die Koordinaten - aber eben nicht mehr - auch der entlegensten Gewässer mit einem einzigen Instrument bequem abfragen zu können. Leichtmatrosen allerdings, etwa interessierte Studenten mediaevistischer Disziplinen in den Anfangssemestern, werden mit diesem Sextanten nicht viel anzufangen wissen.

Es will übrigens nicht zu diesem Profi-Zuschnitt passen, daß Einleitung und Vorwort zwar in nicht weniger als sechs modernen europäischen Sprachen geboten werden, nicht aber in der Koiné der Zielgruppe, Latein.

Die praktische Verwendbarkeit des C.A.L.M.A. wird allerdings vor allem anderen davon abhängen, wie schnell das Projekt fortschreiten wird. Bezüglich der angekündigten Erscheinungsfrequenz stehen das italienische (zwei bis drei Faszikel im Jahr) und die anderssprachigen Vorworte (eines pro Jahr) in einem eigentümlichen Widerspruch. Allein die Buchstaben A und B sollen rund 1700 Autoren umfassen, bieten also noch Stoff für etwa sieben Faszikel, mithin zwei bis vier italienische oder sieben resteuropäische Jahre ... Es mahnen die Ruinen von ehrgeizigen Projekten wie dem Mittellateinischen Wörterbuch (seit 1939 in Arbeit, heute am Ende des Buchstabens C angelangt) und auch das ewig halbfertige Gebäude des Repertorium Fontium (erster Band 1967, heute bei N).

Eine elektronische Version ist nicht angekündigt. Dies ist um so bedauerlicher, als durch leicht und billig aktualisierbare CD-ROM-Ausgaben dem Grundübel von Langzeitprojekten abgeholfen werden könnte: der Veraltung der ersten Faszikel bei Erscheinen der letzten.

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